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AutorenbildGideon Franck

Chronische Schmerzen verstehen – Wann uns der Fokus auf die Schmerzen im Weg stehen kann

Aktualisiert: 15. Juni 2022


Wenn Du unter chronischen Schmerzen leidest, wirst Du gemerkt haben, dass das Verhältnis zu Deinem Körper durchaus mal ein gespaltenes sein kann. Zu oft enttäuscht er einen in Momenten, wo wir es gar nicht gebrauchen können, gibt zu früh auf oder hindert uns daran, die Dinge tun zu können, die wir so gerne machen würden. Die Schmerzen werden unsere Gegner, die uns vielleicht Angst machen, uns frustrieren und wie ein Magnet an unserer Aufmerksamkeit ziehen.


Das Problem liegt im Fokus

Dabei übersehen wir komplett, dass unser Körper uns braucht, nicht als Gegner, sondern als Freund. Und genau hier liegt eines der größten Probleme mit unserem, aber auch dem therapeutischen und medizinischen Umgang mit Schmerzen. Wir sind so darauf fokussiert wann es mies ist, schlechter wird oder aus dem Ruder läuft, dass wir selten innehalten sondern gleich auf Kampf, Verteidigung oder Flucht schalten. Alles dreht sich um die Reduktion der Schmerzen, weil wir denken, dass es nur darum geht. Keine Frage, es geht auch darum, aber vielleicht noch um viel mehr?


Der Problemfokus ist absolut verständlich und bei fortschreitenden Erkrankungen oder in Akutfällen geradezu unumgänglich, weil einfach etwas passieren muss. Er stellt den wichtigsten Teil unseres medizinischen Denkens dar. Wenn etwas in unserem Körper zu sehr aus dem Ruder läuft und/oder er Probleme hat sich dabei zu fangen, müssen wir ihm von außen helfen, durch Medikamente, Operationen usw. Durch dieses Vorgehen haben wir ganz wundervolle und tolle Dinge für die Menschheit erreicht und das Leben der Menschen im Durchschnitt durchaus verlängert.


Eine Metapher vom Krieg

Das klingt jetzt natürlich heftig. Genau genommen kommt diese Art zu denken aus der Infektologie – also dem Teil der Medizin, der sich mit der Erforschung und Behandlung von Infektionskrankheiten beschäftigt. Gerade dort haben wir über die etwa letzten 200 Jahre schier wundervolles geleistet.

Manche der damals tödlichsten Erkrankungen spielen heute so gut wie keine Rolle mehr.

Die Grundidee ist simpel: Da sind Viren oder Bakterien, die in unserem Körper Unheil anrichten und mit dene


n unser Körper ab einer bestimmten Anzahl nicht mehr zurechtkommt. Also brauchen wir etwas wie ein passendes Antibiotikum, einen Impfstoff o.ä., halten damit drauf und der „Feind“ ist erledigt. Ganz grundlegend betrachtet arbeitet ja auch unser Immunsystem so: Feind erkennen und bannen – ein bisschen wie im Krieg. Das Prinzip in der Medizin hat schon Vielen das Leben gerettet.


Warum das bei chronischen Schmerzen oft nicht funktioniert

Das Problem entsteht, wenn wir diese Denke zu sehr auf andere Bereiche übertragen. Wir sprechen zum Beispiel oft vom Kampf gegen chronische Schmerzen, Aktionstage gegen Schmerzen, Schmerzfreiheit usw. Wir behandeln Schmerz

en wie einen äußeren Feind, den es zu bekämpfen und zu besiegen gilt. Bei allem Charme, den dieser Gedanke hat (weiß Gott, wie gerne würde ich manchmal meine Schmerzen besiegen), so sind Schmerzen keine Viren oder Bakterien.


Schmerzen sind ein körpereigenes Überlebenssystem – auch wenn sie sich nicht gut anfühlen (das dürfen sie auch nicht, da hätten sie ihr Funktion verfehlt), so dienen sie dennoch dazu, uns auf etwas hinzuweisen. Auch wenn chronischer Schmerz nicht notwendigerweise mehr auf eine akute Verletzung oder Erkrankung hinweist, so ist er nicht eine zufällige Fehlfunktion in unserem Organismus. Nehmen wir nun mal die Metapher des Kampfes und überlegen mal gegen wen wir da eigentlich kämpfen, wenn da kein äußerer Feind ist?

Autsch, da wird es eng, oder? Als ich das für mich erkannte wurde ich ohne Umschweife sauer auf mich selber – wie konnte ich als Psychologe nur darauf reinfallen gegen mich selber zu kämpfen (und indem ich genau da sauer auf mich wurde, habe ich damit ja gerade weiter gemacht ... das kam mir aber erst später 😉)? Natürlich braucht der Körper auch äußere Hilfe, um damit zurecht zu kommen, seien es Medikamente, Physiotherapie und vieles mehr, doch vielleicht kennst Du das, das wir uns immer mehr in den Kampf verstricken und immer weniger Vertrauen in den eigenen Körper entsteht. Eigentlich wollen wir vom Schmerz weg und immer mehr im Leben dreht sich genau darum. Und das Problem? Alle machen mit!


Eine Lösung: Vertrauen zum Körper wieder aufbauen

Über meinen Kampf mit den Schmerzen hatte ich etwas Grundlegendes übersehen (ich kam gar nicht mehr dazu, vor Frust und Enttäuschung und Kampf) – meinem Körper geht es nicht gut, wenn er weh tut! Er tut es nicht aus irgendeiner sadistischen Neigung heraus. Er tut es,


1. weil er nicht anders kann oder

2. weil er mich auf etwas hinweisen will.


Er verdient also, dass ich ihm zuhöre, ihn besser verstehe und vor allem gut mit ihm umgehe.

Was kannst Du nun ganz konkret tun?


1. Stell Dir einmal vor, dass jemand, der Dir sehr nahesteht, genau das erlebt, was Du erlebst – diese Schmerzen, die Einschränkung all das. Vielleicht Dein Kind, Partner, Partnerin, Freund oder Freundin, Familienmitglied ... wer würde passen?

2. Dann frage Dich einmal wie Du mit dieser Person umgehen würdest. Wahrscheinlich, zugewandt, nett, mitfühlend ... oder?

3. Gehst Du genauso mit Dir selber um, wenn es Dir schlecht geht? Wenn „Nein“, warum eigentlich nicht? Du weißt doch eigentlich, was gut und richtig wäre. Du kannst es auch, weil Du bestimmt schon öfter für andere auf diese Weise da warst. Die Kunst ist es, das für Dich umzusetzen. Wie alles, ist das eine Frage der Übung.



Wenn Du das beherzigst und immer mal wieder ausprobierst, wirst Du bemerken, dass Du immer besser verstehen kannst, was Dein Körper braucht und will. Vor allem kann aber auch die Angst vor den Schmerzen abnehmen. Diese Übung stammt aus der Compassion Focused Therapy (CFT), einer relativ neuen und erfolgreichen Therapieform, wurde aber auch schon vorher in der kognitiven Verhaltenstherapie verwendet.



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